Die Kraft der Gemeinschaft in kippenden Zeiten

Die Kraft der Gemeinschaft in kippenden Zeiten

.
.
bis
.
.

Ein Rückblick auf „Tipping Time – Klimakonferenz der Zivilgesellschaft“
von 9. bis 11. Mai 2024 im Sonnenpark St. Pölten

Programm

Programmflyer

Programmbuch PDF

Alle Fotos

Es waren drei ebenso erfüllte wie erfüllende Tage bei „Tipping Time – Klimakonferenz der Zivilgesellschaft“: Von 9. bis 11. Mai verwandelte das Team von Globart gemeinsam mit dem Verein Solektiv und der Tangente St. Pölten – Festival für Gegenwartskultur den Sonnenpark St. Pölten in einen Möglichkeitsraum für Austausch, Wissensvermittlung und das Zulassen von Gefühlen, die von der Klimakrise und den damit verbundenen Kipp-Punkten ausgelöst werden. Das dichte Programm an Vorträgen international bekannter Speaker*innen, Porträts über und Workshops mit Aktivist*innen aus der Zivilgesellschaft sowie musikalischen Highlights begeisterte das Publikum in einem von Licht- und Luft durchfluteten Zelt. „Uns bewegt die Frage, wie wir eine Sprache finden für all die Gefühle, Hoffnungen und Sorgen, für unser verändertes Weltverhältnis angesichts der Klimakrise“, so Globart-Intendant Jakob Brossmann. „Aber genauso wollen wir erkunden, wie wir gemeinsam ins Handeln kommen und wir Zuversicht entwickeln können.“

Auf schwankendem Boden

„Here comes the flood“ von Peter Gabriel und „Big Yellow Taxi“ von Joni Mitchell gab der 70-köpfige zivilgesellschaftliche Wöd Chor Plus in eigens für diesen Abend arrangierten Versionen zum Besten, bevor Jakob Brossmann und Stefanie Jaksch (Programmleitung Globart) im übervollen Zelt den jungen dänischen Soziologen Nikolaj Schultz auf die “Naturbühne” holten. Er hatte zuletzt mit dem mit Bruno Latour verfassten Manifest „Die Entstehung einer ökologischen Klasse“ für Aufsehen gesorgt und mit „Landkrank“ einen beeindruckenden Essay zu unser aller Gemütslage vorgelegt. Passend zu der „kippenden Zeit“, die die Klimakonferenz im Namen trug, beschwor Schultz den existenziellen Schwindel und das Schwanken, das uns erfasst, wenn wir begreifen, dass wir Menschen stets an der eigenen Auslöschung arbeiten – und unsere Taten, seien sie noch so klein, große Auswirkungen haben können. (Lesenswerte Berichte zur Eröffnung fanden sich unter anderem in Die Presse.)

Wie eine wärmende Decke

Eingebettet war sein gefeierter Vortrag in die gefühlvolle, virtuose und stets auf das Bühnengeschehen antwortende musikalische Moderation der Cellistin und Singer-/Songwriterin Marie Spaemann. Sie schuf einen Rahmen, in dem sich ein ganz besonderes Gefühl des Gemeinsamen ganz natürlich entfalten durfte. Eine spezielle emotionale Facette steuerte die Slam Poetin Katharina Wenty bei: Sie porträtierte für „Tipping Time“ sechs Protagonist*innen des Wandels in gereimten, fließenden Texten, die die Leistungen dieser Menschen und die Personen selbst auf die große Bühne holte und ihnen so ein literarisches Denkmal setzte. Und mehr als einmal flossen Tränen der Rührung und der Verbundenheit in den drei Tagen auf der Naturbühne.
In den Abendstunden des Eröffnungstages begeisterte das Sigrid Horn Trio das Publikum mit ihren gesellschaftskritischen, modernen Wienerliedern und erntete Standing Ovations.

No items found.

Programm Highlights

No items found.

Programm

No items found.

Hoffnung schöpfen und Verantwortung verstehen

Der Freitag begann mit einer ordentlichen Portion Mut: Die Aktivistin Johanna Frühwald von Fridays For Future teilte in ihrem Workshop Wissen rund um das Organisieren von Streiks und wirksamer Kommunikation; zur gleichen Zeit teilte Markus Weidmann-Krieger, der den Sonnenpark seit seinen Anfängen begleitet, sein Wissen über Flora und Fauna des Parks und brachte seine Geheimnisse bei einem Walk näher.
Auf der Naturbühne startete das Vortragsprogramm mit Clara Porák, Gründungsmitglied des Netzwerk Klimajournalismus und der inklusiven redaktion andererseits. In ihrem ebenso scharf wie gefühlvoll argumentierten Vortrag „Realistisch hoffen“ spürte sie dem Potenzial und den Problemen mit der Hoffnung nach – und schließt mit der Erkenntnis: „Eine andere Welt ist möglich, mit jedem Mal, dass ich die Hoffnung verliere, mit jedem Schock und jedem bisschen Verzweiflung werde ich mir da sicherer – aber es liegt an uns, für sie einzustehen.“
Was für andere einzustehen auf globaler Ebene heißen könnte, demonstrierte der nigerianische Aktivist Peter Emorinken-Donatus in einem leidenschaftlichen Plädoyer „Verantwortung tragen“. In einem bewegten Talk benannte er nicht nur die jahrhundertelange Ausbeutung des Globalen Südens durch den Globalen Norden und was jetzt notwendig wäre, um die drei größten Ungerechtigkeiten zu beheben: „Wir brauchen: echte Entschuldigungen, angemessene Reparationen, das Versprechen, dass es sich nicht wiederholt – und Transformation!“
(Lesenswerte Berichte zum Freitag gab es unter anderem in Die Presse und NÖN.)

Durchatmen – und auf die Nachbarn hören

Zeit, ein wenig durchzuatmen: Im offenen Forum Climate Feeling waren die Teilnehmer*innen eingeladen, ihre Eindrücke, Sorgen, aber auch ihre Inspiration zu teilen. Unter der Anleitung von Sarah Haas (Kontext Institut) und Sophia Stranger (Austrian Center for Peace) wagten einige Beherzte, vor Publikum über ihre Verfasstheit zu reden und damit wieder andere zu motivieren.
Als Abschluss auf der Naturbühne wollte die Journalistin und Autorin Anna-Katharina Laggner von Aktivistin und Think-Tank-Gründerin Katharina Rogenhofer wissen, wie man „einen langen Atem behält“. Die Antwort: Es braucht nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, um etwas zu bewegen – das gibt Katharina Rogenhofer Kraft. Und: miteinander reden. Ihre eigene Großmutter, sagt sie, war skeptisch, was ihren Aktivismus anging, bis ein Schulfreund ihr sagte, wie super er fände, was die Enkelin mache. „Es kommt also oft gar nicht darauf an, was jemand sagt – sondern wer es sagt, damit es die Menschen erreicht. Und wir alle können Personen in unserem Umfeld ansprechen und überzeugen.“
Als Ausklang enterte Christoph Richter, Pianist und St. Pöltner Lokalmatador, die Bühne und verzauberte das Publikum mit seinen filigranen Kompositionen.


Ab in den Garten

Bereits in den Morgenstunden herrschte am Samstag reges Treiben im Sonnenpark. Für den Tag der Initiativen, den Globart und Solektiv gemeinsam mit Fridays For Future, Pioneers of Change und der MitmachRegion St. Pölten/Traisental organisiert hatten. Auf dem Areal der Gemeinschaftsgärten Nord präsentierten knapp 30 Vereine, Initiativen und Projekte ihre Vorhaben – die Bandbreite reichte von Think Tanks über die Radlobby bis hin zu nachhaltigen Wohnprojekten. Bei strahlendem Sonnenschein wurde mit den Besucher*innen und untereinander genetzwerkt, sich ausgetauscht und neue Allianzen gebildet. Und in der geodätischen Kuppel, die unter der Anleitung der European Public Sphere gemeinsam gebaut wurde, diskutierten viele Menschen angeregt zum Thema „Europa und die Demokratie in der Klimakrise“.

Die Neugier in Workshops stillen

Währenddessen führte die Künstlerin und Aktivistin Isa Klee interessierte Besucher*innen bei einem Morning Walk durch den Park und lud ein, die Insektenwelt zu entdecken. Und gleich vier Protagonist*innen des Wandels versammelten Neugierige in ihren Workshops: Martin Kirchner von den Pioneers of Change fragte seine Teilnehmer*innen, was sie denn mit dem Rest ihres Lebens anstellen wollen – und wie man einer Antwort näherkommt. Wie sich unser Essverhalten auf die Umwelt auswirkt und wie wir mehr Achtsamkeit in unsere Nahrungsaufnahme integrieren, demonstrierte der Ernährungsökologe Martin Schlatzer vom FiBL auf kurzweilige Art und Weise. Im Anschluss informierte Romana Drexler über den aktuellen Stand der von ihr gegründeten Initiativen „Bodenschutz St. Pölten“ sowie „Stopp S34“; über die Kraft der Begegnung erzählte bewegend und mit entwaffnender Offenheit Delshad Bazari, der 2015 nach Österreich kam und inzwischen in Traiskirchen Flüchtlingen beim Ankommen in der fremden Umgebung mit Rat und Tat zur Seite steht und sie in den Garten der Begegnung einlädt.

Geteilte Landschaften und der Wind der Veränderung

Zwei besondere und eng mit der Tangente St. Pölten verzahnte Projekte zogen eine ganze Menge Teilnehmer*innen an: Wissenschaftler*innen aus ganz Europa erkundeten unter der Anleitung von rimini protokoll-Mitbegründer Stefan Kaegi und Kuratorin Caroline Barneaud den Sonnenpark – und durchstreiften unter dem Titel “Forschend in die Landschaft” mit rund 30 Besucher*innen, für die sie ganz neue Perspektiven aus Umweltwissenschaften, Biologie, Architektur, Philosophie, Kartographie und darstellender Kunst eröffneten, durch den Park.
Im bis auf den letzten Platz gefüllten Mobilen Stadtlabor trafen Kaegi und Barneaud anschließend zum Gespräch auf die Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser, die in ihrem Vortrag den „Wind of Change“ nicht nur als politische Metapher sieht, sondern konkret fragt: „Wie den Umgang mit Unsicherheit kultivieren, ohne in fatalistischen Assimilationismus verfallen? Und wie mit der Ungleichverteilung von Risiko und Verletzlichkeit umgehen?“

Über Spiritualität und Extremwetterereignisse

Auf der Naturbühne lauschten am Nachmittag zahlreiche Zuschauer*innen der Künstler*in Amanda Piña, die gemeinsam mit dem Performer Clemente Ramirez dem Diskurs eine weitere Sichtweise des Globalen Südens hinzufügte. Im Gespräch mit Tarun Kade, dem kuratorischen Leiter der Tangente St. Pölten, sprachen die beiden über indigene Erfahrungen, die Bedeutung von kulturellem Wandel und spiritueller Erneuerung bei der Bekämpfung der Ursachen der Klimakrise.
Ein etwas anderes Weltverhältnis nahm die international bekannte Physikerin Friederike Otto als Grundlage für einen ihrer seltenen Vorträge mit dem Titel „Furcht verwandeln“. Sie argumentierte wie in ihrem Buch „Klima(un)gerechtigkeit“, dass Kipp-Punkte nicht unser Hauptaugenmerk sein sollten: „Ob es sie gibt oder nicht, ändert nichts daran, was wir tun müssen. Sie machen uns medial Angst machen und überdecken die Tatsache, dass der Klimawandel längst da ist.“ Extreme Wetterereignisse würden die Menschheit zwar nicht vernichten, aber schon jetzt Lebensraum und -grundlagen zerstören – und globale Ungerechtigkeit vergrößern. Wenn aber die Fahrt auf der Route 66 im Cabrio immer noch unsere Vorstellung von Freiheit sei, so Otto, „brauchen wir bessere Geschichten, auf die unsere Träume ebenso anspringen“.
(Lesenswerte und sehenswerte Berichte zu Samstag, Tag der Initiativen und Friederike Ott gab es unter anderem in NÖN und ORF Topos.)

Was Verluste uns bedeuten und wie wir mit ihnen leben lernen

Ein letztes Mal Atemholen vor der Abschlussrede konnten das Publikum bei der zweiten Runde Climate Feelings, an diesem Abend angeleitet von Johannes Brossmann (Plansinn und Klimarat) und Sarah Haas (Kontext). Nach Reflektionen und Lockerungsübungen waren alle bereit für den abschließenden Vortrag „Mit Verlusten leben“ von Bestseller-Autor Daniel Schreiber, der nachdenklich, aber auch hoffnungsvoll stimmte. „Irgendwann gelingt es uns, auch mit einer Situation umzugehen, von der man niemals glaubte, mit ihr umgehen zu können. Radikale Hoffnung heißt, genau darauf zu vertrauen.“, schloss er seine Ausführungen über unwiederbringlich Verlorenes, und rührte damit auch an ein Gefühl, das alle drei Tage von „Tipping Time“ durchdrungen hatte: Die Freude darüber, dass es bereits Lösungen gibt, weitere Lösungen geben wird und wir nicht allein sind mit unseren Sorgen, aber ebenso wenig mit unserer Entschlossenheit und unseren Ideen für eine gute gemeinsame Zukunft.

Ein Abschluss bei Feuer und Musik

„Ich bin dankbar, randvoll mit Eindrücken, Erkenntnissen und einem neuen Schwung an Motivation und Tatkraft nach diesen Tagen“, so eine Besucherin beim nächtlichen Ausklang, dem verzaubernden Konzert von Violetta Parisini im Schein eines Lagerfeuers. „Endlich habe ich Worte für das, was mich schon so lange unbestimmt begleitet.“
Laut Angaben von Tangente wurden im Laufe der 3 Tage rund 700 Besuche im Sonnenpark und den unterschiedlichen Programmteilen der Klimakonferenz gezählt. 60 Festivalpässe ermöglichten dabei zivilgesellschaftlich Engagierten die kostenlose Teilnahme im Rahmen des „Aktivist*innen-Stipendiums“ von Gemeinwohlökonomie und Lux Bau, sowie privater Spender*innen.
Auch Jakob Brossmann von Globart zeigte sich zufrieden: „Diese Konferenz ist von so viel Zusammenhalt, positiven Zugängen und kämpferischen Ansätzen getragen worden – und wir sind froh, dass wir gemeinsam mit Solektiv und der Tangente St. Pölten so viele Menschen aus Kunst, Wissenschaft und zivilgesellschaftlichem Engagement zusammenbringen durften. Was wir hier gehört und gesehen haben, wird lange nachwirken – und gibt Kraft für alles, was auf uns zukommt, aber auch die Gewissheit, dass wir uns den Herausforderungen gemeinsam stellen werden.“


Backstage Team © Luiza Puiu
No items found.

In Partnerschaft mit:

No items found.

In Kooperation mit:

Tangente St. Pölten

Tangente St. Pölten

Solektiv

Solektiv

Förderer:

St. Pölten

St. Pölten

Land Niederösterreich

Land Niederösterreich

Sponsoren

EVN

EVN

WKO NÖ

WKO NÖ

Wiener Städtische

Wiener Städtische

Fernwärme St. Pölten

Fernwärme St. Pölten

Kooperationen

No items found.

Sponsoren fürs Stipendienprogramm

No items found.

Medienpartner

No items found.

Jetzt Mitglied werden oder Mitgliedschaft schenken  

Globart-Mitglieder profitieren vom Globart-Netzwerk und von vergünstigten Teilnahmegebühren bei allen Veranstaltungen.