Von 31. August bis 2. September 2023 war das Stift Melk erfüllt von der geballten Energie des Themas „Anfängerinnen“, dem sich die „Tage der Transformation“ von Globart mit einem dichten Programm aus Vorträgen hochkarätiger Expert:innen, künstlerischen Glanzlichtern und Workshops von und mit Pionier*innen der Zivilgesellschaft widmeten. Intendant Jakob Brossmann freute sich auf drei Tage gelungene Diskussionen der Denkwerkstatt: „Die konzentrierte, aber immer auch spielerische, zugewandte Atmosphäre hier ist einmalig und erfasst auch uns von Globart immer wieder neu.“
Das erste Highlight erwartete das begeisterte Publikum gleich zu Beginn am Donnerstagvormittag mit der Ausstellung „E LA NAVE VA“ des Künstlers und GoBugsGo-Gründers Edgar Honetschläger. Die Schau im Stiftspavillon steht noch bis 31. Oktober allen Besucher*innen der Stiftsgarten offen. Ein mit Insekten verziertes, überdimensionales Ei, verdorrte Sträucher und ein großes Papierschiff, das mit der Fracht eines verdorrten Fenchels über ein Federmeer gleitet, treten mit dem barocken Umfeld in kritischen Dialog und machen klar, so Honetschläger: „Was wir tun, wenn es um den Klimawandel geht, ist nicht genug. Auch die Kunst hat die Pflicht, über das reine Aufzeigen hinauszugehen und aktiv zu werden.“ Die Besucher*innen zeigten sich verzaubert und berührt von der Ausstellung.
Aktiv werden, das ist das Gebot der Stunde auch am Eröffnungsabend, wie die Grußworte von Globart Präsident Hans Hoffer, Abt Georg und Hermann Dikowitsch (Kunst & Kultur Land Niederösterreich) und die Performance „Performing 3 Ecologies“ des Base Collective veranschaulichen, bevor Philosophin Svenja Flaßpöhler die Bühne betritt. Sie stellt mit ihrem Vortrag „Was kommt nach dem Ende?“ nicht nur die Frage, wie wir uns als Menschen angesichts überwältigender Krisen verhalten, sondern identifiziert auch drei wirkmächtige Momente, die mit der Kraft des Anfangens einhergehen: Hoffnung, Demut und Realitätssinn. Ihr Fazit ist ein Plädoyer für das Träumen: „Vielleicht wird diese Fähigkeit irgendwann das Einzige sein, was uns von der Maschine unterscheidet. Nur wer lebendig ist, wer geboren wird und stirbt, ist fähig zu träumen. Zu träumen bedeutet, das Wirkliche zu überschreiten.“ Langanhaltender Applaus und leidenschaftliche Gespräche beim Abendessen im Stiftskeller bis in die späten Abendstunden waren die Folge. Zurück im Stiftsgarten brachte Kabarettist Hosea Ratschiller mit Auszügen aus seinem noch unveröffentlichten neuen Programm „HOSEA“ zum Schmunzeln und Nachdenken.
Der Freitagvormittag stand ganz im Zeichen der Selbsterkenntnis: Psychologe Thomas Brudermann hielt den zahlreichen Zuhörer*innen den Spiegel vor und führte allen vor Augen, wie gern wir uns mit Ausreden und Ausflüchten aus der Verantwortung ziehen wollen und dass wohl jede*r schon einmal geseufzt hat: „Ich tu doch schon so viel!“, wenn es um den Klimawandel geht. Im Anschluss stand Edith Siebenstich, Mitglied im ersten Bürger*innen-Klimarat Österreichs, in einem Live-Interview für den Kooperationspartner Ö1 mit Moderatorin Renata Schmidtkunz Rede und Antwort, wie es um ihre eigene Sensibilisierung beim Thema Klimawandel bestellt ist. Ihr Fazit: „Das Interesse des Parlaments an unseren Empfehlungen war enttäuschend, und mit ein Grund, den Verein des österreichischen Klimarats zu gründen. Leute, wir haben das nicht vergessen. Wir sind immer noch da!, sagen wir. Solange man uns zuhört, werden wir uns einbringen und zwischen Gesellschaft und Politik vermitteln.“
Ökonomische Überlegungen bildeten das thematische Zentrum des Nachmittags. In ihrem Vortrag „Die Überlebenswirtschaft hat längst begonnen“ betonte Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann, dass endloses grünes Wachstum schlicht unmöglich ist – und wir uns an den Gedanken des „grünen Schrumpfens“ gewöhnen müssen. Erich Lux gab Einblicke in die Gemeinwohl Ökonomie, und den kontrovers diskutierten Abschluss dieses Programmsegments bildete Jan Groos‘ Ausführung zu demokratischer Wirtschaftsplanung.
Ein weiterer unbestreitbarer Höhepunkt wartete am Abend auf den vollbesetzten Kolomanisaal: Ilija Trojanow präsentierte in einer hinreißenden Leseperformance gemeinsam mit den Jazzmusikern Wladigeroff Brothers zum ersten Mal seinen neuen Roman „Tausend und ein Morgen“, einen kühnen utopischen Roman, in dem er seine Protagonist*innen als Zeitreisende durch die Jahrhunderte schickt, immer mit dem Versuch, an kritischen Punkten der Geschichte einzugreifen und im richtigen Moment das Zünglein an der Waage zu sein um das Geschehen zum Guten zu wenden. Ob das gelingen kann? Und zu welchem Preis? Der erzählgewaltige Abend, in dem Trojanow alle Register seines Könnens zog, riss das Publikum zu stehenden Ovationen hin.
Wer über das Anfangen sprechen will, muss sich ebenso mit dem Aufhören beschäftigen – eine Disziplin, in der sich Designtheoretiker Friedrich von Borries auskennt. Dank seines Mitmach-Vortrags, in dem er seine Skepsis gegenüber dem Anfänger*innentum zum Ausdruck brachte, kam Bewegung ins Publikum, das mit geschlossenen Augen durch den Saal navigierte und sich ganz auf Berührungen und die eigenen Wünsche des Aufhörens konzentrieren sollte. Beste Voraussetzungen für entspannte Stille beim Vortrag von Philosophin Eva von Redecker, die mit „Anfangen, Zeit zu haben“ ganz anders argumentierte: Für sie liegt das wahre Anfangen in der Freiheit, Zeit zu haben – und zu bleiben: „Verzeitlichte Freiheit ist Zeitfülle und erfüllte Zeit in einer Zeit der Fülle. Dieser Überfluss ist der Stoff unserer Freiheit.“ Ihren Ausführungen lauschten die Besucher*innen gebannt und in konzentrierter Stille.
Den Abschuss des dichten Programms machte zuerst die Präsentation der Ergebnisse des „Weltklimaspiels“, entwickelt von der gemeinnützigen Gesellschaft „Weitblick“, das unter der Anleitung von Matthias Mittelberger stattfand und die Globart-Stipendiat*innen in die Rollen von internationalen NGOs, global agierenden Konzerne und Regierungsverantwortlichen schlüpfen lässt. „Nur gemeinsam erreichen wir wirkliche Veränderung“, so die einhellige Schlussfolgerung aus drei Tagen Simulation um die Rettung der Welt.
In der Präsentation der für die „Tage der Transformation“ entstandenen Festschrift „Anfangen. Eine Entzauberung“ richtete die Autorin Stefanie Jaksch einen leidenschaftlichen Appell an das Publikum: „Fangen wir an, geht es um ein ganzheitliches, körperliches, bewusstseinserweiterndes Zuhören. Das ist eine zutiefst menschliche Kulturtechnik, die wir einer durchdigitalisierten, in die Zersplitterung gehenden Welt entgegenhalten können. Zuhören als politische Praxis also. Zuhören als echtes Sich-Öffnen, als transformative Kraft und Mut zur Verbundenheit.“
Zugewandtheit und Verbundenheit waren sehr oft spürbar während dieser drei dicht bespielten Tage, und nirgendwo zeigte sich das besser als in den nachmittäglichen Workshops mit den sechs „Pionier*innen des Wandels“. Neben Edith Siebenstich erfuhr man alles über Moor-Renaturierung mit Axel Schmidt, folgte Solarpionier Wolfgang Bernhuber, tauschte sich mit Erich Lux zum Gemeinwohl aus, staunte über den Nutzen von neu gedachten Toiletten mit Harald Gründl und diskutierten über zivilen Widerstand mit Martha Krumpeck, deren Statement zu den Aktionen der Letzte Generation sehr berührte: „Uns geht es immer nur um die Sache, dafür stehen wir mit unseren Klarnamen, dafür nehmen wir Verwaltungsstrafen in Kauf, dafür trete ich in den Hungerstreik, dafür gehe ich ins Gefängnis.“ Filmemacher Christoph Schwarz präsentierte mit Suse Lichtenberger einfühlsame und humorvolle Porträts dieser sehr unterschiedlichen Vertreter*innen des zivilgesellschaftlichen Engagements.
Die Teilnehmer*innen waren durchwegs begeistert: „Was für eine spannenden Mischung aus Theorie, Kunst und der Möglichkeit, selbst wirksam zu werden!“, so eine Besucherin. Ein anderer Zuhörer konstatierte: „Super spannende Gäste – und wie wunderbar, dass es hier einen Ausgleich gibt zwischen dem Benennen von Problemen und Beispielen, was bereits geschieht, um eben diese Probleme anzugehen.“
Zum stimmungsvollen Ausklang im Stiftspark gab es auch noch eine Uraufführung der Komponistin und Pianistin Verena Zeiner, die mit einfühlsamer Improvisation am Flügel das gesamte Festival begleitet und umrahmt hatte: Ihre Uraufführung “The language maker” für Trompete hüllte in der Interpretation von Lorenz Raab den Pavillon und die Zuhörer*innen in eine emotional berührende Klangwolke, die noch lange nachwirkte.
Glücklich und zufrieden zeigte sich Intendant Jakob Brossmann am Ende des Festivals – nicht nur über eine durchschnittliche Auslastung von 89 %: „Es ist eine wunderbare Bestätigung unserer Arbeit, dass so viele Menschen den Weg nach Melk ins Stift gefunden haben und mit uns gemeinsam über Anfänge und ihr transformierendes und verbindendes Potenzial nachzudenken. Das lässt uns Hoffnung schöpfen für eine Zukunft, in der wissenschaftliche Erkenntnis, Empathie und Engagement die Basis für unsere Entscheidungen – und Entscheidungsträger*innen – sein kann.“
Fotos © Luiza Puiu
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