Nikolaj Schultz © Luiza Puiu

Die Kraft der Gemeinschaft in kippenden Zeiten

Ein Rückblick auf „Tipping Time – Klimakonferenz der Zivilgesellschaft“
von 9. bis 11. Mai 2024 im Sonnenpark St. Pölten

Es waren drei ebenso erfüllte wie erfüllende Tage bei „Tipping Time – Klimakonferenz der Zivilgesellschaft“: Von 9. bis 11. Mai verwandelte das Team von Globart gemeinsam mit dem Verein Solektiv und der Tangente St. Pölten – Festival für Gegenwartskultur den Sonnenpark St. Pölten in einen Möglichkeitsraum für Austausch, Wissensvermittlung und das Zulassen von Gefühlen, die von der Klimakrise und den damit verbundenen Kipp-Punkten ausgelöst werden. Das dichte Programm an Vorträgen international bekannter Speaker*innen, Porträts über und Workshops mit Aktivist*innen aus der Zivilgesellschaft sowie musikalischen Highlights begeisterte das Publikum in einem von Licht- und Luft durchfluteten Zelt. „Uns bewegt die Frage, wie wir eine Sprache finden für all die Gefühle, Hoffnungen und Sorgen, für unser verändertes Weltverhältnis angesichts der Klimakrise“, so Globart-Intendant Jakob Brossmann. „Aber genauso wollen wir erkunden, wie wir gemeinsam ins Handeln kommen und wir Zuversicht entwickeln können.“

Wie eine wärmende Decke

Eingebettet war sein gefeierter Vortrag in die gefühlvolle, virtuose und stets auf das Bühnengeschehen antwortende musikalische Moderation der Cellistin und Singer-/Songwriterin Marie Spaemann. Sie schuf einen Rahmen, in dem sich ein ganz besonderes Gefühl des Gemeinsamen ganz natürlich entfalten durfte. Eine spezielle emotionale Facette steuerte die Slam Poetin Katharina Wenty bei: Sie porträtierte für „Tipping Time“ sechs Protagonist*innen des Wandels in gereimten, fließenden Texten, die die Leistungen dieser Menschen und die Personen selbst auf die große Bühne holte und ihnen so ein literarisches Denkmal setzte. Und mehr als einmal flossen Tränen der Rührung und der Verbundenheit in den drei Tagen auf der Naturbühne.
In den Abendstunden des Eröffnungstages begeisterte das Sigrid Horn Trio das Publikum mit ihren gesellschaftskritischen, modernen Wienerliedern und erntete Standing Ovations.

Durchatmen – und auf die Nachbarn hören

Zeit, ein wenig durchzuatmen: Im offenen Forum Climate Feeling waren die Teilnehmer*innen eingeladen, ihre Eindrücke, Sorgen, aber auch ihre Inspiration zu teilen. Unter der Anleitung von Sarah Haas (Kontext Institut) und Sophia Stranger (Austrian Center for Peace) wagten einige Beherzte, vor Publikum über ihre Verfasstheit zu reden und damit wieder andere zu motivieren.
Als Abschluss auf der Naturbühne wollte die Journalistin und Autorin Anna-Katharina Laggner von Aktivistin und Think-Tank-Gründerin Katharina Rogenhofer wissen, wie man „einen langen Atem behält“. Die Antwort: Es braucht nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, um etwas zu bewegen – das gibt Katharina Rogenhofer Kraft. Und: miteinander reden. Ihre eigene Großmutter, sagt sie, war skeptisch, was ihren Aktivismus anging, bis ein Schulfreund ihr sagte, wie super er fände, was die Enkelin mache. „Es kommt also oft gar nicht darauf an, was jemand sagt – sondern wer es sagt, damit es die Menschen erreicht. Und wir alle können Personen in unserem Umfeld ansprechen und überzeugen.“
Als Ausklang enterte Christoph Richter, Pianist und St. Pöltner Lokalmatador, die Bühne und verzauberte das Publikum mit seinen filigranen Kompositionen.

Die Neugier in Workshops stillen

Währenddessen führte die Künstlerin und Aktivistin Isa Klee interessierte Besucher*innen bei einem Morning Walk durch den Park und lud ein, die Insektenwelt zu entdecken. Und gleich vier Protagonist*innen des Wandels versammelten Neugierige in ihren Workshops: Martin Kirchner von den Pioneers of Change fragte seine Teilnehmer*innen, was sie denn mit dem Rest ihres Lebens anstellen wollen – und wie man einer Antwort näherkommt. Wie sich unser Essverhalten auf die Umwelt auswirkt und wie wir mehr Achtsamkeit in unsere Nahrungsaufnahme integrieren, demonstrierte der Ernährungsökologe Martin Schlatzer vom FiBL auf kurzweilige Art und Weise. Im Anschluss informierte Romana Drexler über den aktuellen Stand der von ihr gegründeten Initiativen „Bodenschutz St. Pölten“ sowie „Stopp S34“; über die Kraft der Begegnung erzählte bewegend und mit entwaffnender Offenheit Delshad Bazari, der 2015 nach Österreich kam und inzwischen in Traiskirchen Flüchtlingen beim Ankommen in der fremden Umgebung mit Rat und Tat zur Seite steht und sie in den Garten der Begegnung einlädt.

Über Spiritualität und Extremwetterereignisse

Auf der Naturbühne lauschten am Nachmittag zahlreiche Zuschauer*innen der Künstler*in Amanda Piña, die gemeinsam mit dem Performer Clemente Ramirez dem Diskurs eine weitere Sichtweise des Globalen Südens hinzufügte. Im Gespräch mit Tarun Kade, dem kuratorischen Leiter der Tangente St. Pölten, sprachen die beiden über indigene Erfahrungen, die Bedeutung von kulturellem Wandel und spiritueller Erneuerung bei der Bekämpfung der Ursachen der Klimakrise.
Ein etwas anderes Weltverhältnis nahm die international bekannte Physikerin Friederike Otto als Grundlage für einen ihrer seltenen Vorträge mit dem Titel „Furcht verwandeln“. Sie argumentierte wie in ihrem Buch „Klima(un)gerechtigkeit“, dass Kipp-Punkte nicht unser Hauptaugenmerk sein sollten: „Ob es sie gibt oder nicht, ändert nichts daran, was wir tun müssen. Sie machen uns medial Angst machen und überdecken die Tatsache, dass der Klimawandel längst da ist.“ Extreme Wetterereignisse würden die Menschheit zwar nicht vernichten, aber schon jetzt Lebensraum und -grundlagen zerstören – und globale Ungerechtigkeit vergrößern. Wenn aber die Fahrt auf der Route 66 im Cabrio immer noch unsere Vorstellung von Freiheit sei, so Otto, „brauchen wir bessere Geschichten, auf die unsere Träume ebenso anspringen“.
(Lesenswerte und sehenswerte Berichte zu Samstag, Tag der Initiativen und Friederike Ott gab es unter anderem in NÖN und ORF Topos.)

Was Verluste uns bedeuten und wie wir mit ihnen leben lernen

Ein letztes Mal Atemholen vor der Abschlussrede konnten das Publikum bei der zweiten Runde Climate Feelings, an diesem Abend angeleitet von Johannes Brossmann (Plansinn und Klimarat) und Sarah Haas (Kontext). Nach Reflektionen und Lockerungsübungen waren alle bereit für den abschließenden Vortrag „Mit Verlusten leben“ von Bestseller-Autor Daniel Schreiber, der nachdenklich, aber auch hoffnungsvoll stimmte. „Irgendwann gelingt es uns, auch mit einer Situation umzugehen, von der man niemals glaubte, mit ihr umgehen zu können. Radikale Hoffnung heißt, genau darauf zu vertrauen.“, schloss er seine Ausführungen über unwiederbringlich Verlorenes, und rührte damit auch an ein Gefühl, das alle drei Tage von „Tipping Time“ durchdrungen hatte: Die Freude darüber, dass es bereits Lösungen gibt, weitere Lösungen geben wird und wir nicht allein sind mit unseren Sorgen, aber ebenso wenig mit unserer Entschlossenheit und unseren Ideen für eine gute gemeinsame Zukunft.

Ein Abschluss bei Feuer und Musik

„Ich bin dankbar, randvoll mit Eindrücken, Erkenntnissen und einem neuen Schwung an Motivation und Tatkraft nach diesen Tagen“, so eine Besucherin beim nächtlichen Ausklang, dem verzaubernden Konzert von Violetta Parisini im Schein eines Lagerfeuers. „Endlich habe ich Worte für das, was mich schon so lange unbestimmt begleitet.“
Laut Angaben von Tangente wurden im Laufe der 3 Tage rund 700 Besuche im Sonnenpark und den unterschiedlichen Programmteilen der Klimakonferenz gezählt. 60 Festivalpässe ermöglichten dabei zivilgesellschaftlich Engagierten die kostenlose Teilnahme im Rahmen des „Aktivist*innen-Stipendiums“ von Gemeinwohlökonomie und Lux Bau, sowie privater Spender*innen.
Auch Jakob Brossmann von Globart zeigte sich zufrieden: „Diese Konferenz ist von so viel Zusammenhalt, positiven Zugängen und kämpferischen Ansätzen getragen worden – und wir sind froh, dass wir gemeinsam mit Solektiv und der Tangente St. Pölten so viele Menschen aus Kunst, Wissenschaft und zivilgesellschaftlichem Engagement zusammenbringen durften. Was wir hier gehört und gesehen haben, wird lange nachwirken – und gibt Kraft für alles, was auf uns zukommt, aber auch die Gewissheit, dass wir uns den Herausforderungen gemeinsam stellen werden.“

Backstage Team © Luiza Puiu

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