Rückblick:
Tage der Transformation 2023 im Stift Melk

Träumend das Wirkliche überschreiten

Aktiv werden, das ist das Gebot der Stunde auch am Eröffnungsabend, wie die Grußworte von Globart Präsident Hans Hoffer, Abt Georg und Hermann Dikowitsch (Kunst & Kultur Land Niederösterreich) und die Performance „Performing 3 Ecologies“ des Base Collective veranschaulichen, bevor Philosophin Svenja Flaßpöhler die Bühne betritt. Sie stellt mit ihrem Vortrag „Was kommt nach dem Ende?“ nicht nur die Frage, wie wir uns als Menschen angesichts überwältigender Krisen verhalten, sondern identifiziert auch drei wirkmächtige Momente, die mit der Kraft des Anfangens einhergehen: Hoffnung, Demut und Realitätssinn. Ihr Fazit ist ein Plädoyer für das Träumen: „Vielleicht wird diese Fähigkeit irgendwann das Einzige sein, was uns von der Maschine unterscheidet. Nur wer lebendig ist, wer geboren wird und stirbt, ist fähig zu träumen. Zu träumen bedeutet, das Wirkliche zu überschreiten.“ Langanhaltender Applaus und leidenschaftliche Gespräche beim Abendessen im Stiftskeller bis in die späten Abendstunden waren die Folge. Zurück im Stiftsgarten brachte Kabarettist Hosea Ratschiller mit Auszügen aus seinem noch unveröffentlichten neuen Programm „HOSEA“ zum Schmunzeln und Nachdenken.

Die Macht der Ausreden und Grenzen des Wachstums

Wagemutige literarische Utopien für alle

Ein weiterer unbestreitbarer Höhepunkt wartete am Abend auf den vollbesetzten Kolomanisaal: Ilija Trojanow präsentierte in einer hinreißenden Leseperformance gemeinsam mit den Jazzmusikern Wladigeroff Brothers zum ersten Mal seinen neuen Roman „Tausend und ein Morgen“, einen kühnen utopischen Roman, in dem er seine Protagonist*innen als Zeitreisende durch die Jahrhunderte schickt, immer mit dem Versuch, an kritischen Punkten der Geschichte einzugreifen und im richtigen Moment das Zünglein an der Waage zu sein um das Geschehen zum Guten zu wenden. Ob das gelingen kann? Und zu welchem Preis? Der erzählgewaltige Abend, in dem Trojanow alle Register seines Könnens zog, riss das Publikum zu stehenden Ovationen hin.

Die Augen schließen und Zeit haben

Wer über das Anfangen sprechen will, muss sich ebenso mit dem Aufhören beschäftigen – eine Disziplin, in der sich Designtheoretiker Friedrich von Borries auskennt. Dank seines Mitmach-Vortrags, in dem er seine Skepsis gegenüber dem Anfänger*innentum zum Ausdruck brachte, kam Bewegung ins Publikum, das mit geschlossenen Augen durch den Saal navigierte und sich ganz auf Berührungen und die eigenen Wünsche des Aufhörens konzentrieren sollte. Beste Voraussetzungen für entspannte Stille beim Vortrag von Philosophin Eva von Redecker, die mit „Anfangen, Zeit zu haben“ ganz anders argumentierte: Für sie liegt das wahre Anfangen in der Freiheit, Zeit zu haben – und zu bleiben: „Verzeitlichte Freiheit ist Zeitfülle und erfüllte Zeit in einer Zeit der Fülle. Dieser Überfluss ist der Stoff unserer Freiheit.“ Ihren Ausführungen lauschten die Besucher*innen gebannt und in konzentrierter Stille.

Die Welt, ein Spiel und die Kraft des Zuhörens

Den Abschuss des dichten Programms machte zuerst die Präsentation der Ergebnisse des „Weltklimaspiels“, entwickelt von der gemeinnützigen Gesellschaft „Weitblick“, das unter der Anleitung von Matthias Mittelberger stattfand und die Globart-Stipendiat*innen in die Rollen von internationalen NGOs, global agierenden Konzerne und Regierungsverantwortlichen schlüpfen lässt. „Nur gemeinsam erreichen wir wirkliche Veränderung“, so die einhellige Schlussfolgerung aus drei Tagen Simulation um die Rettung der Welt.

Mit Pionier*innen denken und handeln

In der Präsentation der für die „Tage der Transformation“ entstandenen Festschrift „Anfangen. Eine Entzauberung“ richtete die Autorin Stefanie Jaksch einen leidenschaftlichen Appell an das Publikum: „Fangen wir an, geht es um ein ganzheitliches, körperliches, bewusstseinserweiterndes Zuhören. Das ist eine zutiefst menschliche Kulturtechnik, die wir einer durchdigitalisierten, in die Zersplitterung gehenden Welt entgegenhalten können. Zuhören als politische Praxis also. Zuhören als echtes Sich-Öffnen, als transformative Kraft und Mut zur Verbundenheit.“

Zugewandtheit und Verbundenheit waren sehr oft spürbar während dieser drei dicht bespielten Tage, und nirgendwo zeigte sich das besser als in den nachmittäglichen Workshops mit den sechs „Pionier*innen des Wandels“. Neben Edith Siebenstich erfuhr man alles über Moor-Renaturierung mit Axel Schmidt, folgte Solarpionier Wolfgang Bernhuber, tauschte sich mit Erich Lux zum Gemeinwohl aus, staunte über den Nutzen von neu gedachten Toiletten mit Harald Gründl und diskutierten über zivilen Widerstand mit Martha Krumpeck, deren Statement zu den Aktionen der Letzte Generation sehr berührte: „Uns geht es immer nur um die Sache, dafür stehen wir mit unseren Klarnamen, dafür nehmen wir Verwaltungsstrafen in Kauf, dafür trete ich in den Hungerstreik, dafür gehe ich ins Gefängnis.“ Filmemacher Christoph Schwarz präsentierte mit Suse Lichtenberger einfühlsame und humorvolle Porträts dieser sehr unterschiedlichen Vertreter*innen des zivilgesellschaftlichen Engagements.

Die „Tage der Transformation“ zum Weiterhören, Weitersehen und Weiterlesen:

  • Renata Schmidtkunz war im Gespräch mit zwei Philosophinnen: mit Svenja Flaßpöhler über die neue Sensibilität unserer Gesellschaft und deren Grenzen. Zur Sendung geht es hier
    Mit Eva von Redecker sprach sie über die Aufgabe der Philosophie in den gegenwärtigen Multikrisen unserer Gesellschaft. Weitere Infos hier
  • Am 25. Oktober um 19 Uhr findet am Landestheater Niederösterreich in St. Pölten beim “Blätterwirbel 2023” ein Abend mit Ilija Trojanow und Julia Engelmayer statt. Der Abend ist Teil der Veranstaltungsreihe “Der utopische Raum”, die in Kooperation mit Globart stattfindet. Infos finden Sie hier.
  • Die Festschrift „Anfangen. Eine Entzauberung“ von Stefanie Jaksch ist über das Globart-Büro unter info@globart.at für 9 Euro erhältlich.

Highlights aus der Berichterstattung

  • Ronald Pohl sprach mit der Philosophin Eva von Redecker über unsere Verwobenheit mit der Natur und über eine Notwendigkeit zur Neuorientierung unseres Denkens. Zum Artikel gehts hier entlang.
  • In der Presse können sie die gekürzte Eröffnungsrede der Tage der Transformation von Philosophin Svenja Flaßpöhler lesen. Zum Artikel
  • Der Vorabdruck der Festschrift von Stefanie Jaksch im Standard ist hier zu finden.
  • Über die Ausstellung und den Aktivismus des Künstlers Edgar Honetschläger für Insekten- und Umweltschutz können sie hier noch mehr lesen.

Fotos © Luiza Puiu

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